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Die Soldatin im Zug

Aktualisiert: 8. März 2022


Ich möchte eine Geschichte erzählen. Etwas untypisch für diesen Blog, weil komplett ohne Satire und Ironie. Dennoch habe ich das Bedürfnis dieses Erlebnis und meine damit einhergehenden Gedanken zu teilen.


Ich sitze also im ICE von Berlin nach München. Freitagnachmittag. Komplett gefüllt. Ich hatte Glück, überhaupt noch buchen und einen Sitzplatz ergattern zu können. Dennoch sitze ich ab Leipzig alleine in meinem Zweiersitz. In Erfurt steigen viele neue Leute ein. Unter ihnen auch sie: die Soldatin.


Was soll ich sagen. Der Anblick von Soldat*innen hat schon immer sehr viele Fragen in mir hervorgerufen. Bisher war die Konfrontation mit diesen Gedanken jedoch auf Zugreisen beschränkt. Für mich der einzige Ort, an dem ich in Deutschland mit dem Anblick von Personen in Camouflage-Uniform konfrontiert bin. Hier also meine Standard-Gedanken: Warum braucht diese Welt Personen, die lernen mit Gewehren und anderen Waffen auf andere Objekte und Menschen zu schießen? Vollkommener Mist. (Dies finde ich übrigens immer noch)


Dennoch: Vor paar Wochen noch hätte ich jede Person, die freiwillig in der Bundeswehr ist, mit abwertenden Gedanken gestraft. Der Krieg in der Ukraine hat natürlich auch in mir ein Umdenken erzwungen oder sagen wir lieber: er hat die komplette Verwirrung ausgelöst was meine Prinzipien und Einstellungen dazu angeht.


Jetzt sitzt also diese Frau neben mir im Zug. Sie ist sicher ein paar Jahre jünger als ich. Man lächelt sich an bzw. man formt die Augen zu schmalen Schlitzen und hofft, die andere Person erkennt das als freundliche Geste hinter der Maske. Sie wirkt total froh, dass sie in dem wirklich überfüllten Zug noch einen Sitzplatz ergattert hat. Wie man das so kennt, lässt sie mich überaus freundlich raus, wenn ich aufs Klo muss und wir teilen uns schwesterlich die Steckdose, damit unsere mobilen Geräte uns mit Streaming-Inhalten entertainen können. Ihr Kabel führt in ein Tablet. Immer Mal wieder versuche ich, ohne meinen Kopf zu bewegen, zu erspähen, was bei ihr läuft. Es ist nicht schwer zu erraten. Auf dem Tablet läuft Gilmore Girls. Warum überrascht mich das so sehr, dass diese Frau in Uniform neben mir die Mädchen-Wohlfühl-Serie der Nullerjahre schaut? Hätte ich erwartet Soldat*innen würden in ihrer Freizeit immer nur Kriegsfilme oder zumindest irgendein anderes brutales Zeugs schauen?


Hier steht sitzt er nun also, der mensch-gewordene Konflikt, den ich seit Tagen in mir drinnen austrage: Kann man, kann ich es gut finden, dass es Institutionen wie die Bundeswehr gibt? Muss ich den Menschen, die dafür arbeiten, am Ende noch dankbar sein, dass sie sich für diesen Weg entschieden haben?

Was mich sofort wieder zur Frage führt: Was hat diese Frau wohl dazu veranlasst bei der Bundeswehr zu sein? Wären wir zu Schulzeiten befreundet gewesen oder bist du an sich einfach ein anderer Schlag Mensch?


Gleichzeitig schwingt auch eine feministische Schwingung in mir mit, die diese Frau bewundert. Auf irgendeine absurde Art und Weise finde ich die Vorstellung von einer Frau als Kämpferin cool. Auch ihr Outfit, die Bundeswehr-Montur, gefällt mir irgendwie. Messe ich hier mit zweierlei Maß - auch ganz unabhängig von einem Krieg, der sich so nah anfühlt wie nie zuvor? Bin ich männlichen Soldaten gegenüber immer schon feindseliger als weiblichen? Auch diese Frage holt mich wieder zurück in die Gegenwart. Ich muss an die vielen Bilder von zerrissenen Familien an den Grenzen der Ukraine denken. Kinder, die in Interviews davon berichten, dass ihr Vater nicht mitkonnte auf die Flucht, weil er das Land verteidigen muss. Junge Männer, die in der Schlange stehen, um sich mit Waffen auszustatten. Zuvor hatten sie Schreibtisch-Jobs wie du und ich. Der Mann in dem Interview ist (oder soll ich sagen war) Programmierer. Ist das gerecht? Ist es gerecht, dass Männer, die sich zuvor auch nie für Krieg interessiert haben, einfach nur weil sie Männer sind, kämpfen wollen müssen? Haben diese Männer wirklich weniger Angst und mehr Skills zum Schießen als z.B. ich? Es wirkt alles so antiquiert. Krieg wirkt antiquiert. Ich dachte heutzutage führt man Cyberwar. Klar, der wird auch sicher geführt. Und dennoch sehen diese Bilder in den Nachrichten aus als hätte ich aus Versehen zu BR Alpha geschaltet, wo die Tagesschau von 19-Hundertirgendwas läuft.


Dann ruft die Person neben mir jemanden an. Das finde ich generell einen spannenden Moment im Zug. Man sitzt stundenlang Arm an Arm nebeneinander, spricht kaum ein Wort miteinander und dann ein Telefonat. Ich freue mich meistens darüber, den Gesprächen zu lauschen. Noch besser einschätzen zu können, wer hier so nah an mir dran sitzt. Auch diesmal ist es eine kleine Offenbarung. Die Mama ist dran. Der typische Anruf, um mitzuteilen, dass man bald ankommt und die Zugfahrt ok ist. Schnell kippt das Gespräch allerdings in eine Diskussion bzw. in ein ununterbrochenes Rechtfertigen meiner Sitznachbarin: „Nein Mama, ich habe mich am Dienstag freigetestet.“, „Nein Mama, ich erfülle doch die 3G Regel, ich bin 3x geimpft“, „Nein Mama, ich hatte keine Symptome. Nur ein bisschen Schnupfen“. Bis hierhin hätte es auch ein Gespräch zwischen meiner Mutter und mir sein können. Vor allem auch, weil die Soldatin in tiefstem Bayerisch ins Telefon argumentiert. Ich spinne mir das Szenario zusammen. Die Soldatin kommt irgendwo aus dem Chiemgau, der Fahrtrichtung und dem Dialekt nach zu urteilen. Den Gesprächsinhalten zufolge studiert sie wohl bei der Bundeswehr und hat nun 1 Woche frei und freut sich nach der Zeit in Quarantäne unheimlich darauf, einfach mal in der Heimat zu sein. Jetzt wird es fast ein wenig tragisch. Die Mutter fühlt sich anscheinend nicht wohl mit der Tatsache, dass die Tochter noch nicht so lange gesundet ist und möchte nicht, dass diese zu ihr kommt. Die Soldatin wirkt traurig und wird auch ein wenig ärgerlich „Mama, du arbeitest doch im Krankenhaus, du musst doch selber wissen, wie die Regeln sind“, „Mama, ich höre doch, dass du dich nicht freust, dass ich komme“. Sie knickt ein und würde nun also stattdessen eine Freundin fragen, ob sie bei ihr bleiben könne. Dennoch sorgt sich die Mutter, ob die Tochter wohl irgendwo ein Abendessen bekomme und auch, ob sie ausreichend Nicht-Armee-Klamotten dabei habe.


Mich stimmt die Geschichte auch traurig. Schließlich sitze ich in diesem Zug - auf der Rückreise von einem Wochenend-Trip, der mal wieder keiner sein sollte. Einer, bei dem ich mich auf Treffen mit Freunden und Familie gefreut hatte. Sogar eine kleine Geburtstagsfeier sollte es geben. Endlich mal wieder mit mehreren Personen zusammen feiern, vielleicht auch das ein oder andere fremde Gesicht sehen, neue Eindrücke bekommen. Corona sei Dank lief alles anders und die Rückreise schon nach weniger als 24 Stunden. Nun also einmal mehr verzichten, warten, ausharren. Die Vernunft sagt mir natürlich, dass es das einzig Richtige ist. Zudem hat man sich daran gewöhnt. Und ich weiß, ich bin mit dem Erlebten nicht alleine. Es gehört mittlerweile zum Alltag: Pläne verwerfen, Pläne gar nicht erst machen und ersehnte menschliche Kontakte ablehnen. Aus Rücksicht, aus Vorsicht. Und dennoch fühlt es sich jedesmal wieder scheiße an. In einer Zeit wo man sich nichts mehr wünscht als die Umarmung von Menschen, die einem nahe stehen, muss man sich physisch separieren.


Und dann denke ich wieder an die Leute die in ukrainischen Städten in irgendwelchen Kellern ausharren. Demgegenüber ist die Trauer um ein verpasstes Wochenende, eine verpasste Party so lächerlich. Ich schäme mich. Klar, hier wird gespendet, demonstriert, werden Schlafplätze geschaffen. Aber tun wir das vielleicht auch nur, um die Angst davor zu betäuben, dass der Krieg auch zu uns kommen könnte? Versteht mich nicht falsch, ich finde jegliche Hilfe in dieser Hinsicht toll. Aber ich bekomme einfach den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass man diese Katastrophe nicht wirklich aufhalten kann. Die Geschichte hat schließlich gezeigt, dass sich die ganze Welt auf den Kopf stellen kann und dennoch kann mehr oder weniger ein Irrer alleine so unvorstellbar viel Unheil anrichten. Je mehr Nachrichten ich mir reinziehe, desto apokalyptischer werden meine Gedanken: Wozu überhaupt noch Zukunftspläne machen? Ist es heuchlerische den Ukrainern zu helfen, wenn wir eigentlich nur das Unglück von uns selbst abwenden wollen? Sitzen wir vielleicht auch bald in der U-Bahn Station? Soll ich schon Wasservorräte kaufen?


Zum Glück gibt es schon die vielen Tipps auf Social Media, die mich beraten, wie man in solch schweren Zeiten die Medien richtig und vor allem (Achtung!) achtsam konsumiert: weniger, keine Push-Nachrichten, nur zu bestimmten Zeitfenstern usw. Wie nett. So fühlt sich das alles gleich gar nicht mehr so schlimm an. Ich mache es wie empfohlen und ziehe mich in meine Pseudo-Quarantäne (so nenne ich den Zustand, in dem man noch nicht weiß, ob die Person, die man getroffen hat oder man selbst nun am Ende doch Corona-positiv ist und man vorsichtshalber mal niemanden trifft, auch wenn man das eigentlich nicht müsste…) zurück, halte mich von der Nachrichtenwelt fern und betäube mich wieder mit mittelmäßigen Serien auf Netflix (aber ja nichts mit Krieg oder traurigen Waisenkindern), Yoga-Videos auf YouTube (wer weiß, wie lang man noch kann, bevor die Seuche einen dann doch erwischt) und Online-Shopping (irgendwann, Leute, irgendwann muss man ja doch auch wieder raus und dafür muss man gerüstet sein).


Der Endbahnhof naht. Das Gespräch zwischen der Soldatin und ihrer Mutter wird immer unangenehmer. Die Soldatin will schon längst aufhören „Mama…, Mama, ich…“ (wer kennt’s nicht). Die Mutter hat wohl doch immer noch mehr unerwünschte Ratschläge bzw. Fragen auf Lager. Und dann kurz bevor der Zug wirklich ganz zum Stehen kommt, das unerwartete Ende: „Mama, ich hab dich lieb, Mama.“


Alles wird gut. Vielleicht.

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